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Über die Arbeit an den Preisbüchern 2021

Ich stand auf und übte den Jaguar-Gang
Heinz Janisch über seine Arbeit an „Jaguar Zebra Nerz. Ein Jahresbuch“

Am Anfang stand ein Rätsel. Das Rätselhafte ist immer ein guter Anfang, weil es etwas in Bewegung setzt. Schon als Kind hat mich das Gedicht „Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt“ von Christian Morgenstern fasziniert, weil es nur aus zwölf Namen besteht. Kein Reim, kein Drumherum. Einfach zwölf Tiernamen wie Jaguar, Zebra oder Zehenbär. Einen Jaguar konnte ich mir vorstellen, aber einen Zehenbär? Rätselhaft. Ich habe das Gedicht in ein Heft geschrieben und oft angeschaut. Ich schreibe gern Gedichte mit der Hand ab, weil sie dann näher rücken. Man schreibt sie auf und schreibt sie sich damit ins Gedächtnis. So gab es das Gedicht von Christian Morgenstern schon lange in meinem Kopf, ohne dass ich eine besondere eigene Idee dazu hatte.

Eines Tages las ich das Gedicht wieder, und plötzlich hatte ich Lust, die Monatsnamen mit Leben zu erfüllen. Wie fühlt man sich im Monat Jaguar? Wie geht es einem im Monat Zehenbär? Ich nahm mein Notizbuch und einen Bleistift zur Hand und überlegte. Mit welchem Monat sollte ich beginnen? Ich sah das Wort „Jaguar“ und plötzlich stand der erste Satz auf dem Papier: „Im Monat Jaguar bewege ich mich mit großer Geschmeidigkeit.“ Ich stand auf und übte den Jaguar-Gang. Das fühlte sich gut an. Die anderen Sätze kamen fast von allein, ich blieb einfach in dem schönen, starken Jaguar-Gefühl, das ich herbeigeschrieben hatte.

Ich schreibe mit der Hand. Das Schreiben mit der Hand hilft mir beim Nachdenken. Da kann man kritzeln, streichen, einringeln, skizzieren, alles bleibt in Bewegung, eine Choreographie der Linien auf dem weißen Papier. Wenn eine Seite vollgekritzelt ist, dann beginnt das Kürzen. Was darf bleiben, was ist zu viel? So habe ich einige Wochen fast täglich mit den zwölf Namen des Morgenstern-Gedichts verbracht, wobei ich auch gern in der Nacht schreibe. Die Familie schläft. Es ist still ringsum, die Nacht hat eine eigene Magie. Da lässt es sich gut nachdenken und schreiben. So sind zwölf Texte entstanden. Einige davon nahm ich schließlich -abgetippt und bearbeitet – zu einer Besprechung beim Verlag Tyrolia mit. Könnte das ein Bilderbuch werden?

Katrin Feiner und Tina Reiter vom Verlag waren sofort interessiert – und nach einigen Minuten stand auch fest, wer das Buch illustrieren sollte: Michael Roher, dessen künstlerische Bilderbücher ich sehr schätze. Michael bekam die Texte und sagte zu meiner Freude zu. Bei einem gemeinsamen Gespräch legten wir uns auf ein Format fest, das uns allen sympathisch erschien. Dann begann ich loszulassen. Ich wollte mich in die Arbeit von Michael nicht einmischen. Die Wahl der Materialien, die Art und Weise der Darstellung, die verwendete Technik – das war jetzt sein Werk. Meine Arbeit war getan, jetzt war er an der Reihe. Das Loslassen tut gut. Man bekommt eine Distanz zu den Texten – und wird reich beschenkt: von einer Bilder-Welt, die man nicht erwartet hat, von Figuren und Wesen, die man so noch nie gesehen hat. Die Geschichten in den Texten beginnen, lebendig zu werden, auf neue wundersame Art und Weise. Das ist das Schöne an einem Bilderbuch. Es ist ein Doppelgeschenk in Wort und Bild.

Michael und ich haben bemerkt, dass man mit dem Buch wunderbar arbeiten kann. Jede und jeder kann sich sein eigenes Jahresbuch machen. Man kann neue Monate erfinden und sie beschreiben und illustrieren. Wie geht es mir im Monat Glühwürmchen? Im Monat Faulpelz? Im Monat Eisbär? Im Monat Antilope?

Dass Buch ist eine Einladung. Lass Deiner Fantasie freien Lauf und erzähl von Dir – von Deinen Stimmungslagen, von Deinen Bedürfnissen und Wünschen! Auf viele neue, wunderbare Monate!

Strich für Strich und Farbe für Farbe 
Michael Roher über seine Arbeit an „Jaguar Zebra Nerz. Ein Jahresbuch“

Begonnen hat alles 2010, als ich im Rahmen des Dixi-Kinderliteraturpreises auf die Kinderbuchmesse nach Bologna reisen durfte. Dort lernte ich – wir waren gerade beide mit dem Nachtzug angekommen – beim Frühstück im Kaffeehaus Heinz Janisch kennen. Im Gespräch damals meinte er, er würde sich freuen, wenn wir eines Tages ein Buch zusammen machen würden. Seither sind über zehn Jahre vergangen, in denen wir uns bei unterschiedlichsten Gelegenheiten über den Weg gelaufen sind und dabei immer wieder auf unser gemeinsames Buchvorhaben zu sprechen kamen. Konkret wurde das aber erst, als Heinz mir beim Tyrolia-Verlagsfest vor drei Jahren von seiner neuen Geschichte erzählte: Er schreibe, ausgehend von einem Gedicht Christian Morgensterns, an Texten, die jeweils um eigenwillige Monatsnamen kreisen, und frage sich, ob ich denn Lust darauf hätte, dieses Projekt zu illustrieren. Natürlich hatte ich!

Der Tyrolia-Verlag ließ mir die ersten vier der insgesamt zwölf Monatstexte zum Probelesen zukommen – und ich war sofort begeistert von der Poesie und den schönen Bildern, mit denen Heinz seinen Befindlichkeiten in den Monaten „Jaguar“, „Zebra“, „Nerz“ und „Mandrill“ nachspürte. Es war eine wirklich tolle Zusammenarbeit, sowohl mit Heinz als auch mit dem Verlag, die mir beide in meiner künstlerischen Umsetzung sehr viel Freiheit ließen. Meine Herangehensweise war dabei in erster Linie von spontanen Impulsen und Ideen geleitet, die ich bei der Lektüre hatte. Ich wollte versuchen, das, was die Sprache in mir auslöste, im Bild einzufangen. Für mich war bald klar, dass die Illustrationen zu dem Buch viel Farbe brauchen würden, um den verschiedenen Stimmungen der Texte möglichst gerecht zu werden. Als Technik Buntstifte zu verwenden, erschien mir da besonders geeignet: zum einen wegen der breiten Palette an Farbtönen, zum anderen, weil diese Technik mir erlaubte, grafisch zu arbeiten und Linien und Striche zu setzen und gleichzeitig strahlende, satte Farbflächen zu schaffen.

Die besondere Herausforderung bei dieser Technik war, dass ich wenig „Versuchsspielraum“ hatte. Anders als bei der Collage, mit der ich sonst oft arbeite und bei der man Elemente immer wieder verschieben, wegnehmen oder umarrangieren kann, bevor man die Komposition fixiert, musste ich mich bei der Farbstiftzeichnung vorsichtig von skizzierten Umrissen Strich für Strich und Farbe für Farbe vorantasten, immer wieder innehalten und überlegen, wie es weitergehen und was das Bild als nächstes brauchen könnte.

Es war ein spannender Prozess und insgesamt ein wirklich großer Genuss, an diesem Buch zu arbeiten. Nicht zuletzt, weil damit ein zehn Jahre alter Traum endlich Wirklichkeit geworden ist.

Vom einfachen Glück eines faulen Sonntagnachmittags 
Elisabeth Steinkellner über ihre Arbeit an „Papierklavier“

Begonnen hat alles mit einem E-Mail von Matthea Dörrich vom Verlag Beltz & Gelberg: Sie fragte bei mir an, ob ich mir vorstellen könnte, den Textpart für ein durchgängig illustriertes Jugendbuch zu übernehmen, das aus der Perspektive einer jungen Frau geschrieben sein sollte. Meine Aufgabe wäre es also, eine Geschichte zu entwickeln, die sich mit relativ knappen Worten und in einem engen Zusammenspiel aus Text und Bild erzählen ließe. Ich fand sofort Gefallen an der Idee.

Hinsichtlich der Figuren- und Handlungsentwicklung gab mir der Verlag freien Spielraum, und ich entschied mich schließlich dafür, mich vage vom Ausgangsthema „prekäre Lebensverhältnisse“ leiten zu lassen. Als der Verlag schließlich erste Textproben haben wollte, wusste ich noch nicht viel über meine noch namenlose Ich-Erzählerin, außer dass ich ihr zwei jüngere Schwestern und eine alleinerziehende Mutter zur Seite stellen wollte. Vier Frauen also. Damit war auch klar, dass weibliche Lebensrealitäten eine wichtige Rolle spielen würden. Die ersten Kurztexte, die ich niederschrieb, handelten von abwesenden Vätern, gendergerechter Sprache und der Kritik an herrschenden Körperidealen. Der allererste Text jedoch handelte vom einfachen Glück eines faulen Sonntagnachmittags. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieses erste Glückshäppchen der Auftakt zu mehreren dieser Art sein würde und dass diese kleinen Glücksmomente letztlich eine wichtige Rolle im Text spielen und bezeichnend für Maias Charakter und Lebenseinstellung werden würden. Eine besondere Herausforderung war für mich, trotz der Textkürze einen Handlungs- und Entwicklungsbogen für meine Hauptfigur zu ersinnen. Außerdem musste ich Maia in wenigen Worten greifbar werden lassen, sie nahbar machen. Man sollte sich als Leser*in in sie hineinversetzen können, auch wenn man nur Gedankensplitter, kurze Alltagsepisoden, kleine Einblicke in ihre Welt bekommen würde.

Mit Anna Gusella kam ich erst in direkten Kontakt, nachdem ich den vollständigen Text schon beim Verlag abgeliefert hatte. Dass der Austausch erst so spät im Prozess der Entstehung des Buches erfolgen würde, war nicht geplant gewesen, hatte sich aber aus Zeitdruck so ergeben. Der unmittelbare Austausch zwischen Anna und mir war für das Zusammenwachsen von Text und Bild am Ende aber doch ganz wesentlich: Wir gaben einander Rückmeldung, sie mir zum Text, ich ihr zu den Bildern, und so fügten sich die unterschiedlichen Teile mehr und mehr zu einem großen Ganzen. Als Dritte im Bunde war Andrea Baron an diesem Austausch beteiligt, sie hatte die Projektbetreuung und das Lektorat inne.

Die Arbeit am „Papierklavier“ war vom Anfang bis zum Ende ein spannendes Experiment, und das Buch bedeutet mir gerade auch deshalb so viel, weil mir seine Themen auch persönlich ganz wichtig und nah sind.

Neue Perspektiven hinzufügen und den Denkraum erweitern 
Anna Gusella über ihre Arbeit an „Papierklavier“

Als der Verlag im Winter 2019 mit einer besonderen Anfrage auf mich zukam, war ich direkt neugierig. Es sollte ein Experiment gewagt werden: ein mutiges, selbstbewusstes Jugendbuch, das Tagebuch und Skizzenbuch in einem ist – ohne stringente Geschichte, aber mit vielen Ideen. Nachdem ich die ersten Textentwürfe von Elisabeth gelesen hatte, war klar, dass dieses Projekt sehr spannend wird. Die komplette visuelle Gestaltung, Zeichnung, Lettering, Layout und Satz wurde meine Aufgabe. Dabei ist es mir grundsätzlich nicht schwergefallen, mich in die Protagonistin Maia hineinzuversetzen. Die größere Herausforderung war, mir vorzustellen, welche Einflüsse und Gedanken eine Jugendliche heute beschäftigen, inwieweit Internet, Medien, Gegenwartskultur eine Rolle dabei spielen, sich als Person zu finden und den eigenen Ausdruck zu suchen und zu definieren. Viele essentielle Themen werden in dem Buch angesprochen: von Diversität, Liebe, Feminismus und Armut über Geschlechterstereotype und Gleichberechtigung hin zu sozialen Normen. Und obwohl es oft nicht leicht ist, geht Maia ihren eigenen Weg, findet mit Humor und durch ihre Freundschaften Selbstbewusstsein und Mut.

Das Buch lässt Raum für eigene Gedanken und das wollte ich auch über die visuelle Ebene transportieren. Mit vielfältigen Zeichnungen neue Perspektiven hinzufügen und den Denkraum erweitern. Meine Arbeit ist dabei geprägt von einem spielerischen Prozess, so skizziere ich verschiedene Ideen, kombiniere diese neu, interpretiere unterschiedliche Aspekte des Textes, und über das Arbeiten kommen neue Ideen hinzu. An der Zeichnung reizt mich die große Freiheit der Darstellung, die nicht an die Realität gebunden ist. Ich arbeite in einem Gemeinschaftsatelier mit einer guten Freundin. Immer wieder drucke ich die Doppelseiten aus, hänge diese nebeneinander und bespreche sie. Neben dem inhaltlichen Aspekt, dem Ausdruck über Strich und Stil, spielte natürlich auch der Rhythmus im Buch und der Austausch mit Elisabeth eine wichtige Rolle. Die Arbeit mit ihr war eine große Bereicherung, ihre Anmerkungen gaben mir neue Denkimpulse, und ich habe mich gefreut, wie respektvoll die Kommunikation verlief. Wir sind gerne aufeinander eingegangen, da uns beiden das Projekt am Herzen lag ,und das gegenseitige Vertrauen hat das Buch zu dem gemacht, was es ist.

Von Dingen erzählen, wie sie einem begegnen 
Franz Orghandl über ihre Arbeit an „Der Katze ist es ganz egal“

Was war der Auslöser für Ihr Buch?

Ich habe wie immer drauflosgeschrieben, deshalb kann ich das nicht beantworten. Das Thema liegt mir wahrscheinlich am Herzen, weil ich mich selbst nicht so zuordnen kann, wie es in der Gesellschaft üblich scheint.

Was war zuerst da: eine vage Idee, ein konkretes Erlebnis, eine der Figuren, das Thema?

Der erste Satz.

Wie gehen Sie ans Werk? Wie verläuft der Arbeitsprozess? Gibt’s regelmäßige Arbeitszeiten? Einen speziellen Ort zum Arbeiten?

Da ich meine Handschrift nicht lesen kann, muss ich an den Computer. Was ich meist zum Schreiben brauche, ist sehr laute Musik. Es muss aber auch was aus mir rauswollen, sonst lasse ich es bleiben.

Wird zuerst entworfen, skizziert und probiert – und dann ins Reine geschrieben bzw. gezeichnet? Oder ist alles bereits in der Vorstellung vorhanden, wenn Sie sich zur Arbeit setzen?

Die Geschichte entsteht, während ich schreibe. Sprache, Tempo und Stimmung sind bei mir ranggleich mit dem Inhalt, ich kann also schlecht vorausplanen, weil ich nicht wirklich Elemente vorziehen kann. Am Ende wird ein bisschen zurechtgestutzt.

Können Sie uns etwas über den Weg von der Idee zum fertigen Buch erzählen? Wie recherchieren Sie?

Der Weg ist direkt von meinem Kopf in die Tasten. Bisher habe ich nur über Dinge geschrieben, die mir vertraut waren.

Was waren die künstlerischen Herausforderungen bei Ihrem Buch? Was verbinden Sie persönlich mit diesem Buch?

Eine große Herausforderung war, nicht zu zensieren. Damit meine ich nicht Worte wie Penis, Prostituierte mit Diplom oder betrunkene Schulwarte, sondern die Ambivalenz, Klischees zu behandeln. Ich wollte von Dingen erzählen, wie sie einem begegnen, nicht, wie sie zu sein haben. Was ich persönlich mit diesem Buch verbinde, ist Emanzipation.

Irgendwie war sie sofort da 
Theresa Strozyk über ihre Arbeit an „Der Katze ist es ganz egal“

Zuerst gab es den Text von Franz Orghandl. Der Klett-Verlag hat mich angerufen und gesagt, es gäbe da so eine Geschichte, sehr charmant und irgendwie auch ein bisschen sperrig, die wäre genau das richtige für mich. Das fand ich dann auch, nachdem ich den Text gelesen hatte. Mir gefiel, dass Jennifers Transsexualität nicht als Problem behandelt wird. Es ist einfach so. Und dass es viele herrlich schrullige Figuren in dem Buch gibt. Und so haben wir auch angefangen: Wie sieht die Oma aus, wie der Schulwart, der Papa, die Mama, und natürlich Jennifer. Obwohl ich bei ihr gar nicht lange nachdenken musste – irgendwie war sie sofort da. Und dann habe ich überlegt, was das für ein Strich sein könnte: Zeichenfeder und Tinte? Ja, das sollte es sein! Ich habe die Feder rausgekramt und genau das falsche, aber darum dann doch richtige Papier besorgt. Es ist so schön rau, und die Feder rutscht nicht so leicht über das Blatt, und man muss ein bisschen kämpfen und drücken. Franz hat mir lange E-Mails geschrieben, meist nachts, was so alles gezeichnet werden könnte, und auch selber Skizzen gemacht. Und ich habe dann losgelegt, und das wurden immer mehr Zeichnungen – viel mehr als ursprünglich geplant. Einer der ersten Entwürfe war Jennifer in einem Berg von Klamotten, wo nichts das richtige ist – ich glaube, das ist ein Gefühl, das viele kennen, dass etwas nicht stimmt mit dem Körper und nicht die richtigen Klamotten und alles passt irgendwie nicht. Die Entwürfe haben allen gefallen, also dem Verlag und Franz. Dann wurde der Umschlag gestaltet. Zu der Geschichte passt eine Litfaßsäule, fand ich. Da musste ich erst mal googeln, ob es die auch in Wien gibt. Und dann müssen da Brüste drauf. Weil die wünscht sich Jennifer doch so sehr. Und natürlich die Katze, die eigentlich gar keine Rolle spielt, weil ihr eigentlich alles egal ist, aber darum geht es ja. Ich musste viel recherchieren, wie das so ist in Wien, denn ich war noch nie in Wien. Wie sehen denn da die U-Bahnhöfe aus, die Mülleimer, die Polizeiuniformen, die Gutenberg-Statue. Vielleicht hätte ich einfach mein Skizzenbuch einpacken und nach Wien fahren sollen? Stattdessen habe ich ganz viel Georg Kreisler und Voodoo Jürgens gehört. Und Paprikaquarkbrote gegessen. Ich bilde mir ein, das macht man so in Wien.

Auf den richtigen Moment warten 
Linda Wolfsgruber über ihre Arbeit an „Die kleine Waldfibel“

Den Anstoß zur „Kleinen Waldfibel“ gaben sicherlich meine Spaziergänge und Wanderungen in den Wäldern. Ich gehe zu jeder Jahreszeit und so oft wie möglich in den Wald. So kann ich mich am besten erholen – und manchmal kommen dabei Ideen für ein Buch. Der Arbeitstitel war zuerst „Ein Spaziergang im Wald“ und das Buch sollte ein größeres Format haben. Meine Schwester wies mich jedoch darauf hin, dass ein kleines Buch besser in einen Rucksack passt, wenn man mit Kindern zur Erforschung in den Wald geht. Das leuchtete mir ein und ich begann zu zeichnen.

Das Zeichnen nach der Natur ist für mich seit der Kunstschule ein Bedürfnis, dem ich so oft ich kann nachgehe. Wenn ich nach der Natur zeichne, muss ich mit ihr leben, manchmal genügend Abstand zu ihr halten, und manchmal muss ich sie ganz nah heranholen. Mit ihr leben bedeutet, auf den richtigen Moment zu warten, bis ich eine Kirschblüte zeichnen kann. Zwei Jahre sind vergangen, bis ich alles gezeichnet hatte, was ich für „Die kleine Waldfibel“ benötigte. Manchmal war ich mit der Zeichnung nicht zufrieden oder ich verpasste den richtigen Zeitpunkt, also wartete ich auf das nächste Jahr. Abstand zu halten heißt, genug Platz zwischen mir und den Bäumen zu lassen, sodass mein Blick die volle Baumgröße erfassen kann, ohne beim Zeichnen mit den Augen von unten nach oben wandern zu müssen. In der Vorbereitung habe ich mich natürlich mit großen Vorbildern beschäftigt: Die Zeichnungen von Pieter Bruegel dem Älteren gehören für mich zu den schönsten Bäumen der Kunstgeschichte.

Das Wissen darum, wie ein Gegenstand geschaffen ist, kann oft hinderlich sein, wenn es um die korrekte Darstellung geht. Ich konzentriere mich auch auf die Leerräume zwischen den darzustellenden Objekten, um die Formen neu zu entdecken. Bei Detailzeichnungen hole ich mir die Natur auch in mein Atelier. Das geht gut, wenn es sich um Gräser, Blätter, Samen oder Fichtenzapfen handelt.

Um ausreichend Hintergrundwissen zu haben, las ich eine Menge Fachliteratur und ein Freund beriet mich im forstfachlichen Bereich. Das Buch sollte aber nicht nur naturwissenschaftliche Informationen, sondern auch Lyrik und Kochrezepte enthalten. Später, als ich das gedruckte Buch in den Händen hielt, erinnerte es mich an „Reimmichls Volkskalender“, das als eine Art Haus- oder Jahrbuch seit 1920 herausgegeben wird und wie die „Waldfibel“ unterschiedliche Textsorten enthält. Dass „Die kleine Waldfibel“ haptisch und typografisch so schön geworden ist, verdanke ich der Grafikerin Christiane Dunkel-Koberg und den Mitarbeiter*innen des Kunstanstifter Verlags.