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Über die Arbeit an den Preisbüchern 2017

Ganz viele Geschichten ohne Text
Julie Völk über die Arbeit an ihrem Buch "Guten Morgen, kleine Straßenbahn!"

Die Idee zu dem Bilderbuch kam mir beim Lesen eines Artikels in der Zeitschrift "Falter". Darin fährt die Straßenbahnlinie 49 durch die unterschiedlichen Bezirke Wiens, von der Vorstadt bis ins Zentrum. Die Menschen, ihre Bedürfnisse, politische Themen, Architektur – alles verändert sich von Haltestelle zu Haltestelle. Die Idee stand also schwarz auf weiß schon vor mir. Aber ich überlegte hin und her, was man für eine Geschichte dazu schreibt. Dann schlug mir meine Lektorin vor, doch mal ein reines Bilderbuch zu machen, und da kam mir die Straßenbahn in den Sinn.

Beim Format probiere ich immer erst herum: Was passt zum Thema, was ist praktisch, was ist machbar? In diesem Fall stellte sich auch die Frage, wie ich darstellen kann, dass sich nicht nur die Umgebung ändert, sondern auch in der Bim viel passiert. Der rote Faden ist natürlich die Straßenbahn, aber um in die Geschichte einzutauchen, sind die Personen und die ganzen Geschichten drumherum entscheidend. Für mich fängt die Geschichte mit dem kleinen Jungen an, der das Mini-Riesenrad findet und es als seine Aufgabe sieht, es zu dem großen Riesenrad zu bringen.

Normalerweise mache ich am Anfang meiner Arbeit viele winzige Kompositionsskizzen, um das Storyboard festzulegen. In diesem Fall brauchte ich aber eine Stadtkulisse, die ich mir aus Plastilin und Stecknadeln gebastelt habe. Ich mag es, wenn Proportionen nicht realistisch dargestellt sind und viel Freiraum in den Bildern ist. Gleichzeitig soll man bei der Straßenbahn leicht nachvollziehen können, wo sie gerade lang fährt. An einer Stelle hat sich aber doch ein Fehler eingeschlichen – da habe ich mehr darauf geachtet, dass die Fahrgäste gut ins Bild passen, aber sie völlig falsch hingestellt. Deswegen steht an der Haltestelle ein Schild: "Haltestelle auf der falschen Seite".

Bei der Bildrecherche fiel mir auf, dass ich selbst schon ganz viele Straßenbahnen fotografiert hatte. Erst da wurde mir bewusst, dass es mir nicht nur um die Idee ging, sondern auch ganz besonders um die Straßenbahn an sich.

Es ist mein erstes eigenes Buch, in dem ich ohne Text ganz viele Geschichten erzählen konnte. Vorher hatte ich nie über die Möglichkeit nachgedacht, ein reines Bilderbuch zu machen. Dass es so gut funktioniert hat, freut mich besonders.

Ich bin durch Zufall Autorin geworden
Luna Al-Mousli über die Arbeit an ihrem Buch "Eine Träne. Ein Lächeln – Meine Kindheit in Damaskus"

Das Buch "Eine Träne. Ein Lächeln – Meine Kindheit in Damaskus" entstand als Diplomprojekt für mein Grafik-Design-Studium an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ich wusste, ich will mich mit dem Thema "Kindheit in Syrien" auseinandersetzen, aber nicht unbedingt mit dem Ziel, ein Buch herauszubringen. Es hätte auch ein Kurzfilm oder eine Website werden können. Doch im Laufe des Prozesses war die Form des Buches am besten geeignet für die Umsetzung meiner Idee. Ich fing an, Stichwörter auf Post-its zu schreiben und sie über meinen Schreibtisch zu kleben, mit dem Gedanken, dass jemand anderes für mich die Geschichten dann zweisprachig verfasst. Doch fand ich diese Person nicht. Also setzten mir meine Diplombetreuerinnen und Diplombetreuer eine Frist: "Entweder du schreibst die Geschichten bis zum nächsten Besprechungstermin, oder du trittst nicht zum Diplom an." So entstanden die Geschichten und ich entdeckte, dass ich doch schreiben kann. Ich bin sozusagen durch Zufall Autorin geworden.

Danach fing die vom Inhalt ausgehende Gestaltung des Buches an. Von der Auswahl der passenden arabischen und deutschen Typografie über die Anfertigung der Illustrationen bis hin zur Auswahl des Papiers und der Buchbindung. In dieser Phase habe ich viel ausprobiert und die Herausforderung bestand darin, Entscheidungen zu treffen und auch Ideen zu verwerfen. Mich verbindet viel mit diesem Projekt, nicht nur, dass es um meine Erinnerungen geht, sondern das Buch wurde von mir alleine fertiggestellt. Jede auch noch so kleine gestalterische Entscheidung spiegelt mich in diesem Gesamtwerk persönlich wider.

In diesem Buch beschränkt sich die Recherche auf meine subjektiven Erinnerungen. Damit die Geschichten auch nur aus meiner Perspektive sind, erzählte ich niemandem von meiner Familie Details über mein Vorhaben. Sie haben die Geschichten erst als sie fertiggestellt waren zum Lesen bekommen, damit sich meine Erinnerung und ihre Erinnerung nicht mischen.

Ich weiß nicht, ob ich bei einem neuen Buch dieselbe Vorgangsweise haben werde. Das Autorin-Sein ist sehr neu für mich und da muss ich selbst noch experimentieren und herausfinden, wie mein Schreibprozess am meisten fruchtet.

Auf das jugendliche Ich in mir vertrauen
Elisabeth Steinkellner und Michaela Weiss über die Arbeit an ihrem Buch "die Nacht, der Falter und ich"

Elisabeth Steinkellner
Im Sommer 2012 beschäftigte ich mich im Rahmen des von der STUBE – Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur angebotenen Fernkurses für Kinder- und Jugendliteratur mit dem Themenbereich "Kinder- und Jugendlyrik". Ich hatte mir bis zu jenem Zeitpunkt noch gar keine Gedanken darüber gemacht, ob es eine spezifische "Jugendlyrik" gibt und was darunter zu verstehen wäre, und auch die Literaturliste bestätigte mir, dass dieses Feld ein wenig beachtetes innerhalb der Jugendliteratur war. Aber als ich im Skriptum davon las, spürte ich sofort ein euphorisches Bauchkribbeln in mir und wusste: Das will ich machen!

Ich schreibe generell sehr intuitiv, aber bei Gedichten mit Sicherheit am meisten. Da mache ich eigentlich nichts anderes, als mich hinzusetzen und darauf zu warten, was kommt. Da es in diesem Fall darum ging, Gedichte für Jugendliche zu schreiben, musste ich einfach auf das jugendliche Ich in mir vertrauen.

Als das Manuskript fertig war, zeigte ich es einem Verlag, der jedoch kein Interesse an einer Veröffentlichung hatte, also wanderte es erst mal in die Schublade. Ich wollte das Projekt keinesfalls aufgeben, aber ich wollte es auch nicht wahllos an andere Verlage schicken, denn welcher Verlag würde mich mit solch einem Projekt schon mit offenen Armen empfangen? Wenn Lyrik für Erwachsene schon ein Nischenprodukt ist, was ist dann erst Lyrik für Jugendliche? Ich beschloss also, erst mal abzuwarten.

Irgendwann passierten schließlich mehrere glückliche Zufälle: Im Sommer 2014 lernte ich Michaela Weiss kennen. Sie hatte sich gerade für einen Illustrationsworkshop zum Thema "Lyrik" angemeldet und ich schlug vor, ihr meine Gedichte zu schicken. Michaela mochte meine Gedichte und ich mochte ihre Illustrationen. Sehr sogar! Ich hatte das Gefühl, dass ihre Bilder und meine Texte in wunderbarer Weise zusammenpassten. Wenig später stellte ich mich erstmals bei Inge Cevela und Katrin Feiner vom Tyrolia Verlag vor. Ich präsentierte ihnen mein Manuskript und die beiden zeigten sich sogleich interessiert. Außerdem schlugen sie mir vor, die Gedichtsammlung noch um kurze Prosatexte zu erweitern – die beste Idee überhaupt!

Ich wollte in den Prosatexten das Offene, Unbestimmte und Mehrdeutige der Gedichte weiterführen, ebenso wie die Reduktion auf "ich" und "du", um einen größtmöglichen Interpretations- und Identifikationsspielraum für die Leserinnen und Leser zu schaffen. Das Schreiben dieser Texte war jedenfalls eine der schönsten und lustvollsten Herausforderungen meines bisherigen Autorinnen-Daseins!

"die Nacht, der Falter und ich" bedeutet mir persönlich so viel, weil es jene Textsorten vereint, für die mein Herz vielleicht am heftigsten schlägt – die kurzen, verdichteten, lyrischen.

Michaela Weiss
Die Bilder für "die Nacht, der Falter und ich" sind – bis auf einige wenige Ausnahmen – in den Techniken Monotypie und Transferdruck gemacht, ungefähr zu gleichen Teilen.

Wie die Bilder entstanden sind? Bei diesem Buch eigentlich sehr intuitiv. Das Buch hat mich ein ganzes Jahr lang begleitet und ich habe sozusagen Stimmungen des Buches schon in mir getragen, denen ich dann Bilder die mir begegnet sind (in mir oder von außen), zugeordnet habe. Das hatte beinahe schon etwas Spielerisches, wie eine Art Sammeln und Festhalten von Bildern in meinem Alltag. Manchmal waren das ganz einfache Bilder wie die Spatzen im Baum über mir in meinem Café, die mich sofort an einen Text im Buch denken ließen. Generell war es für mich wichtig, mich der Lyrik im Buch nicht über bildliche Darstellungen des Inhalts zu nähern, sondern über das Gefühl, welches im Gedicht transportiert wird. (Ich möchte an dieser Stelle Linda Wolfsgruber für ihre wertvolle Unterstützung danken, ich habe meine Arbeit an diesem Buch in ihrem Kurs in Italien begonnen.)

So kann der "Gegenstand" des Bildes auch schon weitestgehend vom Text abweichen, aber das darin innewohnende Gefühl sollte zusammenpassen. Dadurch hoffe ich, dass es möglich war, einen möglichst weiten Raum für Assoziationen zu öffnen. Es war mir auch wichtig, den Texten sehr reduzierte, einfache Bilder gegenüberzustellen, weil es sich doch um sehr elementare Gefühle handelt, ich wollte nichts zu sehr festmachen. So haben sich die Bilder den Texten weitestgehend ohne große Planung zugeordnet, sondern sehr frei und – wie gesagt – intuitiv.

So ganz frei sind zum Beispiel die Schmetterlinge auf Seite 82/83 dann aber doch nicht, denn der voranstehende Text handelt von dem Gefühl der Sehnsucht und endet mit den Zeilen "Unter dem Mantel habe ich die Sehnsucht versteckt. / Ich hoffe, sie bleibt. / Mein Leben lang." So können die bunten, in tropischen Farben leuchtenden Schmetterlinge ja als eine Metapher für die Sehnsucht gelesen werden. Ich persönlich dachte bei dieser Illustration an das Bild eines nächtlichen Fensters, vor dem draußen eine Schar von Schmetterlingen wartet, und ich assoziierte es in weitestem Sinne mit dem Titel des Buches. Natürlich kann es sich auch um eine naturwissenschaftlichere Assoziation des Bildes handeln – und so wollte ich den Möglichkeiten der Assoziierbarkeit möglichst weiten Raum bieten.

Es war etwas Besonderes und wunderschön, an "die Nacht, der Falter und ich" zu arbeiten, und ich danke Elisabeth Steinkellner für ihr Vertrauen und ihre wundervollen Texte.

Wenn man weiß, wie der andere fühlt, ist er nicht mehr so weit weg, nicht mehr so fremd
Julya Rabinowich über die Arbeit an ihrem Buch "Dazwischen: Ich"

Dieses Buch hat mich recht gnadenlos viel näher an sich gerissen, als alle anderen Romane, die ich bis jetzt geschrieben habe. Madina kam ungefragt vorbei und wollte auf ihrer Reise – sowohl in ihrem Märchenwald als auch in ihrem realen Ankommen – begleitet werden. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ich muss gestehen, dass ich während dieser gemeinsamen Wanderung viel geweint habe. Denn einerseits reißt Madinas Geschichte meine eigenen Wunden des erlebten Exils und der Entwurzelung auf, andererseits zwangen mich alle Kinder und Jugendlichen, denen ich bei meiner Arbeit als Dolmetscherin für Flüchtlinge begegnet bin, in die Abgründe zu sehen, die sie ertragen mussten – bescheiden, tapfer, verängstigt, ab und zu wütend, dann wieder hoffnungsvoll und dankbar und manchmal unfassbar glücklich und stolz auf das, was sie erreicht hatten. Ich bewunderte ihre Resilienz, ihre Kraft, ihren Mut. Vor allem die Mädchen, die es oft so schwer hatten, ihren Weg zu gehen, sich zu finden zwischen Tradition und Moderne. Mir war klar, dass diese Geschichten ihrer Kämpfe, Herausforderungen und Freundschaften erzählt werden mussten. Und ich hoffte natürlich auch auf ein gegenseitiges Verständnis. Madina und Laura schaffen etwas, das viele Erwachsene nicht zusammenbekommen. Sie kommen sich nah und lernen voneinander. Wenn man weiß, wie der andere fühlt, ist er nicht mehr so weit weg, nicht mehr so fremd. Mir war gleichzeitig klar, dass dieses Buch versuchen sollte, auch eine Brücke zu werden. Zwischen denen, die da waren, bevor die anderen kamen, und denen, die da kommen. Zwischen Europas Vergangenheit und Zukunft. Unsere Zeitzeugen sterben, wir vergessen die Schrecken des Krieges, der zu Schlagzeilen am Bildschirm geronnen ist, die wir noch wegdrücken können. Aber der Krieg stirbt nicht, und seine Folgen sind heute genauso schrecklich wie in unserer Vergangenheit. Er prägt das Leben der Überlebenden weiter. Madinas Familie leidet an diesen Folgen, jeder hat ein Geheimnis zu tragen, jeder eine Bürde. "Dazwischen: Ich" ist auch mein erstes Antikriegsbuch. Das, was uns verbindet, ist unser Menschsein. Daran will ich festhalten, und ich wünsche mir sehr, dass auch andere daran festhalten wollen.