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Die Preisträgerinnen im Gespräch 2014

Aber mit Respekt!
Heidi Trpak und Laura Momo Aufderhaar im Gespräch

Wenn ich an Tiere denke, über die man ein Sachbuch für Kinder machen kann, dann steht die Gelse nicht unbedingt an erster Stelle. In der Kinderliteratur ist sie ebenso beliebt wie im Leben, nämlich gar nicht. Wie also sind Sie auf die Gelse gekommen?

Heidi Trpak: Im "LesenLiebenLernen"-Projekt, an dem ich teilnahm, war die Aufforderung, eine Geschichte zu schreiben, die das Lebensumfeld der Kinder betrifft. Wir leben an der Donau, in unmittelbarer Nähe der Lobau, da gibt es reichlich Gelsen. Ich selbst bin auch in einem gelsenreichen Gebiet aufgewachsen und kenne kaum ein Kind, das nicht im Laufe seines Lebens mit diesen Tieren in Berührung kommt. Über viele andere Tiere wie Schmetterlinge, Katzen, Spinnen etc. gibt es ja schon genug Literatur.

Laura Momo Aufderhaar: Ich wusste bis vor 2 Jahren gar nicht, was eine Gelse ist. Als ich den Text von Heidi das erste Mal gelesen habe, habe ich erst gegen Ende verstanden, dass es um Mücken geht. Da dachte ich gleich: Hey! Eine super Idee! Mücken kennen alle, aber viel wissen wir nicht über sie.

Was kann denn ein Sachbuch, was andere Medien nicht können? Ich denke da zuerst an den Naturfilm, etwa die populäre Universum-Reihe im Fernsehen. Welche spezifischen Möglichkeiten bietet im Vergleich dazu das Format des Buches, also Bild und geschriebenes Wort?

Heidi Trpak: Ich kann mir das Buch jederzeit hernehmen, wenn ich gerade in Stimmung bin. Ich kann es mir abends im Bett ansehen, in den Urlaub mitnehmen, im Zug lesen, wenn ich krank bin, wenn ich nur mehr 5 Minuten Zeit habe… Außerdem kann ich mich auch nur in eine Seite vertiefen. Filme zeigen eine Flut von Bildern in relativ kurzer Zeit, die zum Beispiel 4-Jährige auf einmal gar nicht erfassen können. Im Buch kann ich die Infos mit dem Auffassungsvermögen des Kindes abstimmen, Fragen beantworten, so lange auf einer Seite verharren, bis das Kind von selbst weiterblättern möchte.

Laura Momo Aufderhaar: Für mich war der besondere Reiz des Buches eben die Mischung aus Sachbuch und Bilderbuch. Also nicht ganz trocken erklären, was Mücken sind und wie das alles so funktioniert, sondern auch etwas Verträumtes, Surreales zu vermitteln, an das man auf einer anderen Ebene anknüpfen kann. Nicht nur über den Verstand.

Sie verlassen die traditionellen Illustrationsmethoden für Sachbücher und verwenden verschiedene Techniken in Ihren Illustrationen. Gibt es Vorbilder?

Laura Momo Aufderhaar: Mich hat Drucktechnik schon länger fasziniert und durch den Austausch mit Renate Habinger und Verena Hochleitner bin ich auf jeden Fall beeinflusst worden. Das ist für mich das Schöne an der Illustration: dass ich immer Neues lerne, mit und von Anderen.

Auch für den Text haben Sie sich etwas einfallen lassen, denn der läuft doppelt, als Erzählung der Gelse Gerda und als Info zur Abbildung. Das ist ja eher ungewöhnlich fürs Sachbuch, dass Tiere einen Namen bekommen und dann gleich etwas erzählen?

Heidi Trpak: Ich fand, durch den Namen wird die Gerda etwas sympathischer, denn darum ging‘s mir ja auch, dass auch solche Tiere eine gewisse "Wertschätzung" bekommen. Ich muss sie nicht lieben, aber ich merke, wie wichtig die Gelse in der Nahrungskette anderer Tiere ist und dass auch sie ein besonderes Geschöpf mit zarten Flügeln und Beinen ist.

Typographie, Illustration, Text und Layout sind wunderbar aufeinander abgestimmt. Wie lief denn da die Zusammenarbeit zwischen Ihnen?

Heidi Trpak: Leider viel zu wenig! Ich durfte Laura und anderen Jungillustratorinnen beim Workshop im Schneiderhäusl über die Schulter schauen, als sie Entwürfe zu meinem Text gestalteten. Eine Jury entschied sich dann für Laura, ich war begeistert! Aber zum Layout habe ich nicht wirklich viel beigetragen.

Laura Momo Aufderhaar: Das ist das Werk von Inge Cevela und Katrin Feiner vom Wiener Dom-Verlag, die intensiv zwischen allen Beteiligten vermittelt haben. Durch die räumliche Distanz war es ja nicht so einfach, sich eben mal zusammenzusetzen. Da wurde dann viel hin und her telefoniert.

Und zum Schluss eine persönliche Frage: Was halten Sie von Tieren, deren Lebenszweck es ist, uns Ausflüge in die Au, den lauschigen Abend am See oder die gemütliche Grillparty mit Freunden zu vermiesen?

Heidi Trpak: Gelsen gehören nach wie vor nicht zu meinen Lieblingstieren. Ich werde sie auch weiter erschlagen, wenn sie sich auf meiner Haut zum Stechen niederlassen, aber mit Respekt!

Laura Momo Aufderhaar: In der Realität finde ich sie grässlich! Aber wenn ich sie studiere und zeichne, finde ich sie wunderschön.

Wichtig ist mir die Atmosphäre, die das Buch vermittelt
Linda Wolfsgruber im Gespräch

Die Arche Noah gehört wohl zu den beliebtesten Geschichten des Alten Testaments, die für junge Menschen nacherzählt werden. In den gut 3 Dutzend illustrierten Büchern, die zurzeit im Buchhandel angeboten werden, finden wir dann meist einen älteren Herren mit weißem Rauschebart, bekleidet mit einem Kaftan, ein ordentliches Boot aus festen Holzbrettern, viele, viele lustige Tiere, die schön in Paaren geordnet aufmarschieren, jede Menge Wasser und zum Schluss einen bunten Regenbogen, der den neuen Bund der Menschen mit Gott symbolisiert. In Ihrer Arche-Geschichte fehlt sowohl Noah als auch der Regenbogen. Und Gott kommt auch nicht vor. Wo sind die denn geblieben?

Linda Wolfsgruber: Ich denke, Noah und der Regenbogen sind in unseren Köpfen, eine Geschichte, die so oft gezeichnet oder gemalt wurde wie diese, kennt man sehr gut. Ich beginne meine Erzählung mit dem Regen, also hat Noah seine Arche schon gebaut. Das Ende der Geschichte ist wiederum so angelegt, dass ich die sternenklare Nacht zeige, die letzte Nacht, bevor Noah mit seiner Familie und den Tieren die Arche verlässt. Somit sind Noah und der Regenbogen zwar nicht dargestellt, aber man weiß, dass sie da sind. Außerdem finden wir auf der letzten Seite des Buches die Nacherzählung der Geschichte.

Das Buch funktioniert ja fast wie ein Leporello. Von Seite zu Seite setzt sich der Zug der Tiere Richtung Arche fort, der Regen geht vom leichten Tröpfeln in ordentliches Schütten über, und am Schluss leuchten die Augenpaare der Tiere aus der Arche genauso wie die Sterne am Himmel durch die Nacht. Rettung ist möglich, sagt mir das wunderbare Schlussbild Ihres Buches. Und die große Flut scheint von Ihnen als globale Ökokatastrophe inszeniert zu sein.

Linda Wolfsgruber: Ich habe mir das so gedacht: Wenn eine große Überschwemmung droht, dann kommen die Tiere nicht gemütlich und schön geordnet daher, da herrscht Unruhe, alles muss schnell gehen und wahrscheinlich bricht auch Hektik aus. So laufen meine Tiere immer schneller und schneller, je näher sie der Arche kommen.

In Ihren Arbeiten und Büchern finden sich immer wieder Tiere, nicht nur ein ganzes Regiment Vierbeiner, sondern auch Vögel, Fische, Reptilien, Käfer und Schmetterlinge. Und ebenso vielfältig sind die Stile und Techniken, mit denen Sie die Tierwelt ins Bild setzen. Da geht’s von der Radierung über die Zeichnung und Collage bis hin zur Freskomalerei und zu Bildern, die mit Nadel und Faden gestickt sind. Woher kommt Ihr Interesse an Tieren?

Linda Wolfsgruber: Das Interesse an Tieren kommt sicherlich daher, dass ich für meine Zeichenstudien einen besonderen Ort in Wien gefunden habe, das Naturhistorische Museum. In dieser sehr schönen Atmosphäre finde ich die Ruhe für meine Studien. Auch die Tiere sind sehr geduldig und laufen mir nicht davon.

Stimmen Sie Ihren Stil und Ihre Technik immer aufs Thema und Sujet ab?

Linda Wolfsgruber: Manchmal ja, aber manchmal ist es auch nicht so wichtig, welche Technik ich für ein Thema verwende. Wichtig ist mir die Atmosphäre, die das Buch vermittelt.

Wie kam es zum Zeichenstil im Arche-Buch?

Linda Wolfsgruber: Speziell für das Arche-Buch fand ich eine schnelle Strichzeichnung sehr passend. Die Tiere, die sich sehr schnell fortbewegen, brauchen einen flinken Strich. Andererseits sollte Ruhe im Bild einkehren, wenn es um die Arche geht. Die Arche, ein sicherer Hafen, und der Himmel sind mit einer flachen Farbgebung dargestellt.

Worauf aus der Werkstatt von Linda Wolfsgruber können wir uns denn schon jetzt freuen? Was liegt denn zurzeit auf Ihrem Zeichentisch?

Linda Wolfsgruber: "Heute Nacht war ich ein Tiger" – ein Buch mit Heinz Janisch.

Ich mag Friedhöfe und die Stimmung dort
Rosemarie Eichinger im Gespräch

Bei Friedhof und Literatur denke ich unwillkürlich an Horror, Grusel und Gothic Novel, an Vampire und Zombies, Raben und Fledermäuse, an eine stürmische Nacht, den von Blitzen erleuchteten Himmel und einen ordentlichen Regenguss. Bei Ihnen scheint meistens die Sonne und Ihre Hauptfigur namens Emma, die ihre Nachmittage am Friedhof verbringt, plaudert auch schon mal gerne mit den Toten, die dort begraben sind. Für Emma ist der Friedhof also ein meditativer Ort für Totengespräche, die nur von ein paar alten Witwen, die ständig keifen und bärbeißig die Gräber ihrer verstorbenen Gatten pflegen, gestört werden.

Wie sind Sie auf den Friedhof als Schauplatz Ihres Buches gekommen?

Rosemarie Eichinger: Für Emma ist der Friedhof ein ganz normaler Ort, an dem sich ein Teil ihres Lebens abspielt. Es gibt ja einige Menschen, die auf Friedhöfen arbeiten. Für die ist es wohl auch kein gruseliger Ort. Ich mag Friedhöfe und die Stimmung dort. Ich empfinde sie weniger als Ort der Trauer, sondern viel mehr als Ort des Gedenkens. Deshalb wollte ich meine Geschichte dort ansiedeln.

War das Thema, also unser Umgang mit dem Tod und den Toten, zuerst da? Oder hat sich die Geschichte aus der Figurenkonstellation "Emma, Emmas Vater und Peter" entwickelt?

Rosemarie Eichinger: Der Umgang mit dem Tod und den Toten als Thema war zuerst da. Die eigentliche Geschichte hat sich erst daraus entwickelt. Ich denke, es hat mit dem Tod meiner Mutter begonnen. Meine Tochter ist damals drei Jahre alt gewesen. Sie war das einzige Enkelkind, das am Begräbnis war, weil man Kindern so etwas nicht zumuten soll. Wir waren aber der Ansicht, dass auch Kinder Abschied nehmen sollen und können. Früher ist man mit dem Tod als Teil des Lebens viel offener umgegangen. Friedhöfe sind ein Teil unserer Kultur und eben nicht nur gruselig und verboten. Seitdem ist das Thema wohl in meinem Kopf gewesen.

Wie schreiben Sie? Ist die Story komplett fertig, wenn Sie beginnen? Gibt’s einen klaren Plan? Oder gibt es nur einen ungefähren Erzählfaden, dem Sie Kapitel für Kapitel folgen, aber dann und wann verlängern und kürzen oder gar aufwickeln und neu auslegen?

Rosemarie Eichinger: Ich habe eigentlich nie einen Plan, wenn ich zu schreiben beginne. Ich habe eine grobe Idee, ein paar Figuren und dann schreibe ich drauf los und schaue, was rauskommt.

"Essen Tote Erdbeerkuchen?" hat ja auch 2 "abwesende" Hauptfiguren, Emmas Mutter und Peters Zwillingsbruder Martin, beide tot. Das heißt, es geht um Trauer und Abschiednehmen – und um einen Neuanfang...

Rosemarie Eichinger: Im Nachhinein ist mir natürlich klar, dass es um Trauer geht, allerdings muss ich sagen, dass mir das beim Schreiben nicht bewusst gewesen ist. In erster Linie ging es mir um den Friedhof und den Totenkult, der von Kultur zu Kultur ganz verschieden gehandhabt wird.

Auf der Website des Carlsen Verlags lese ich, dass Sie gerne im dunklen Badezimmer die ersten Sätze einer Geschichte ausprobieren. Schreibtisch, Sofa oder Bett, von mir aus!, auch ein Vor-sich-hin-Sprechen beim Spazierengehen im Wald: all das kann ich mir gut vorstellen. Aber warum – bitte schön – das Badezimmer?

Rosemarie Eichinger: Das Badezimmer ist einfach der stillste, kleinste und wärmste Ort in der Wohnung. Es ist ein wenig wie schreiben in einem Kokon. Ich kann dort die Außenwelt besonders gut ausblenden und mich auf die Geschichte konzentrieren.

Welche ersten Sätze werden denn dort gerade ausprobiert?

Rosemarie Eichinger: So hat es angefangen oder geendet.

Meine Geschichten sind schon die richtigen
Christine Nöstlinger im Gespräch mit Christina Rademacher

Wenn man wie Sie unter den schwierigen Bedingungen eines Weltkrieges und der Nachkriegszeit startet, profitiert man dann wenigstens von der Perspektive, dass es nur bergauf gehen kann?

Christine Nöstlinger: In den 70er Jahren war ich auch angesteckt von diesem "Es geht bergauf, die Gesellschaft wird besser". So hundertprozentig davon überzeugt wie mein Ehemann war ich aber nie. Auch bei Kinderbüchern hat man damals gedacht, dass man die Kinder zu mehr Aufmüpfigkeit aufrufen kann. Da bin ich in meinen Gedanken, glaube ich, sehr über das Ziel hinausgeschossen. Ich kann ja nicht von einem 5-Jährigen erwarten, dass er seine Eltern einschätzt. Der muss die einfach lieben und für gut halten, sonst geht er psychisch zugrunde.

Hatten Sie ein Ideal vor Augen?

Christine Nöstlinger: Nein, Ideale hatte ich nie vor Augen. Aber ich habe viel über Kinder gelesen, als die Kinderpsychologen und Kinderpsychoanalytiker bekannt wurden. Einsicht in Kinder verdanke ich dem Lesen von Alice Millers "Das Drama des begabten Kindes" oder von Bruno Bettelheim. Bei den ersten Kinderbuch-Tagungen 1970, 71 hat es ja noch Psychologen gegeben, die gegen "Pippi Langstrumpf" wetterten, dass man das Kinder nicht lesen lassen darf. Das waren ja wirklich verschrobene Zeiten, in denen ein Kinderbuch nicht als Literatur behandelt wurde, das waren halt pädagogische Pillen, eingewickelt in ein G'schichterl-Papier.

Waren Sie als junge Autorin überzeugter davon, etwas bewegen zu können? Stand deshalb der kritische Blick auf Zeit und Gesellschaft stärker im Mittelpunkt Ihrer Bücher?

Christine Nöstlinger: Ich hatte immer ein gespaltenes Verhältnis zu dem, was Bücher können. Einerseits habe ich gemeint, Bücher können etwas bewirken, andererseits war mein Motor immer, dass man mit 10 Fingern nicht die Welt verändern kann. Im Grunde glaube ich natürlich immer noch, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und nicht umgekehrt.

Wenn man "Pudding-Pauli" oder andere Ihrer neueren Bücher liest, fällt auf, dass der Fokus stärker auf der Unterhaltung liegt.

Christine Nöstlinger: Der Grundsatz ist: Kinder muss man unterhalten. Es kommt auf das Niveau an. Kinder sind ja keine Kulturleser, auch das intelligenteste Kind sagt nicht: Ach, das ist ein schwerer Brocken, aber da muss ich mich durchkämpfen. Wenn die ersten 20 Seiten zu langweilig sind, wird sich ein Kind nicht durchkämpfen. Die Unterhaltung braucht man. Was man Kindern mitteilen will, muss man nicht unbedingt zum Thema eines Buches erheben. Die Art von Geschichten, die ich erfinde, entspricht ja meiner Sicht von Welt. Also schon, wie ich die Sympathien und Antipathien auf die Figuren aufteile oder wie man im Detail Autorität lächerlich machen kann – da brauche ich nicht den erhobenen Zeigefinger. Da habe ich genug Vertrauen in meine Sicht von Welt, dass ich mir denk, meine Geschichten sind schon die richtigen. Die Geschichten machen mir nie ein Problem, da sind Kinder relativ genügsam. Sie haben meistens 2 Kriterien: langweilig und nicht spannend. Wenn sie die Geschichte interessiert, empfinden sie sie als spannend. Mir macht die Sprache ein Problem. Literatur ist zuerst einmal Sprache. Aber wenn von Kinderbüchern die Rede ist, geht es immer um Inhalte.

Mit der Sprache kann man auch eine an sich langweilige Geschichte spannend machen?

Christine Nöstlinger: Aber natürlich. Es gibt natürlich einen Trick, insofern sind die Helden meiner Geschichten unrealistisch, weil sie viel besser formulieren können als die Kinder im Alltag. Aber das lieben Kinder, weil es Aha-Erlebnisse beschert: Die Kinder spüren etwas, das im Buch ein anderes Kind ausformuliert, und sie denken sich: Ja, genau, das meine ich auch.

Hat es Sie nie gereizt, mal etwas ganz anderes zu schreiben, das jenseits von Alltag und üblichem Milieu liegt?

Christine Nöstlinger: Ich habe ja auch ganz andere Sachen geschrieben. Bei "Hugo, das Kind in den besten Jahren" kommt nichts aus der normalen Welt vor. Fantasy liegt mir aber nicht, auch wenn es sehr gut geschrieben ist. Das einzige Buch, das ich nie fertig gelesen habe und das sogar kaputt wurde, weil es mir im Bett immer runtergefallen ist, war "Herr der Ringe". Aber ich verstehe Kinder völlig, die aus dieser Welt flüchten wollen, weil ihnen das Leben ein bisserl zu schwierig ist. Ich benutze unheimlich gern phantastische Elemente, aber um etwas darzustellen, was auf dieser Welt passiert.

So wie in "Rosa Riedl".

Christine Nöstlinger: Ja, aber die muss eben auch, damit ich es schreiben kann, ein Arbeitergespenst sein. Und da geht es eben auch um Probleme dieser Welt und nicht um Probleme unter Gespenstern.

In Ihren Erinnerungen schreiben Sie auch, dass zu Beginn ihrer Karriere viel mehr darüber diskutiert wurde, was Kinderliteratur leisten sollte.

Christine Nöstlinger: Ich hab das Gefühl, das interessiert überhaupt niemanden mehr. Verlage haben es heute schwerer. Es wachsen im Grunde genommen keine Kinderbuchautoren nach. Früher haben die Verlage Anfänger verlegt, mal 2.000 Stück gedruckt und dann geschaut, ob das zu verkaufen ist. Das war damals eine ganz normale Kinderbuchauflage. 4.000 Stück waren schon viel. Heute kämen Verlage damit überhaupt nicht mehr durch, zumal Kinderbücher sehr billig sind: Ein Erwachsenenbuch kostet 20, 25 Euro mit 200 Seiten, ein Kinderbuch in der gleichen Ausstattung, dazu noch mit Illustrationen wird um 10, 11 Euro verkauft. Ein wahnsinnig gutes Geschäft ist das nimmer. Und die relativ kleinen Verlage mit Verlegern, die etwas riskiert haben, die an junge Autoren geglaubt und gesagt haben: "Dann probieren wir ein zweites oder ein drittes", wenn das erste Buch nicht gegangen ist, sind, glaube ich, auch ausgestorben.

Wenn Sie heute eine junge Autorin wären, würden Sie dann ähnlich erfolgreich werden?

Christine Nöstlinger: Nein, sicher nicht. Die Zeit, in der ich angefangen habe, war für Autoren, die etwas andere als das Herkömmliche schrieben, eine relativ glückliche Zeit. Es haben mich zwar viele Lehrer und Lektoren abgelehnt, aber es gab viel mehr Gerede darum. Damals gab es über jedes Kinderbuch ein Gutachten von einer Kommission. In meinem zweiten Buch "Die Kinder aus dem Kinderkeller" isst ein Vater immer Gabelfrühstück und trinkt dazu ein Seitl Bier. Im Gutachten hieß es dazu: "Dieses Buch ist abzulehnen, weil auf den Seiten" – und dann werden die Seiten aufgelistet – "Bier getrunken wird". Über ein Osterhasen-Buch von Helmut Leiter hieß es: "Ich glaube nicht, dass Osterhasen so miteinander reden."

Gerede gibt es heute aber ja auch noch, nimmt man einmal die Diskussion um den Begriff "Neger" in Otfried Preußlers Buch "Die kleine Hexe".

Christine Nöstlinger: Die Diskussion um die Political Correctness im Kinderbuch ist einfach lächerlich. Kein normaler Mensch, der nicht rassistisch ist, wird heute zu einem Schwarzen Neger sagen. Um zurück in meine Kindheit zu gehen: Mein Großvater, bei Gott kein Rassist, hatte nie einen Schwarzen gesehen, bis er in der Besatzungszeit einmal über die Ottakringer Straße ging. Da kam er heim und hat ganz beglückt gesagt: "Ihr glaubt's net, i hob an Neger gesehn." Ja, wie soll ich das beschreiben? Darf ich's gar nicht mehr beschreiben? Oder soll ich schreiben: Ich habe einen Schwarzafrikaner gesehen? Oder einen Afroamerikaner? Es ist absurd. Es würde doch wirklich reichen, wenn man ein Sternderl macht und drunter hinschreibt, dass damals der Ausdruck Neger keine Beleidigung war. Ganz nebenbei: Meine Enkeltochter lebt in Antwerpen, und in ihrem Freundeskreis sind viele Marokkaner und Afrikaner, die sich selber stolz als Neger bezeichnen.

Begriffe unterliegen sowieso einem ständigen Bedeutungswandel, meinen Sie?

Christine Nöstlinger: Der Oetinger-Verlag hat pflichtschuldigst aus dem Negerkönig einen Südseekönig gemacht, und jetzt hat es wieder Stimmen gegeben, dass das auch diskriminierend sei, es sollte ein Polynesierkönig werden. Mir hat einer unterstellt, das war ein langer Artikel im "Tagesspiegel" von einem Germanistik-Professor in Polen, der "Gurkenkönig" sei ein antisemitisches Machwerk. Ich hatte einen Namen gesucht für dieses Volk im Keller, das Revolution macht, und habe zufällig in dieser Zeit ein Gedicht von Paul Celan gelesen, das mit "kumi ori" endet. Da fragte ich die Mira Lobe, die Hebräisch konnte: "Mira, was heißt kumi ori?" Und sie sagte: "Es heißt: Erhebe dich." Und ich habe mir gedacht: Das ist ein guter Name für mein Volk, das sind die Kumi-Oris. Und dann habe ich halt den König Kumi-Ori genannt. Und dieser Germanistik-Professor hat nun erklärt, es gibt ein jüdisches Hohelied, wo es heißt "Kumi-Ori", aber in Bezug auf Jerusalem. Und er hat angenommen, ich weiß das und will damit ausdrücken, wir pfeifen auf den Gurkenkönig, wir pfeifen auf Jerusalem, und ich will Israel zerstören, bitte. Also ich sitz seit 40 Jahren da und freue mich diebisch, dass ich Israel zerstören will und keiner merkt's. Das ist genauso absurd, wie der Astrid Lindgren Rassismus vorzuwerfen. Außerdem kann man in Literatur nicht reinpfuschen, auch wenn's Kinderbücher sind. Ein Text ist ein Text.

Erstmals erschienen in "1.000 und 1 Buch. Das Magazin für Kinder- und Jugendliteratur", Heft 4/2013. Wir danken für die Abdruckgenehmigung.

Christina Rademacher lebt als Kulturjournalistin und Autorin in Wien. Zuletzt erschienen: Vom Hinterhof in den Himmel. 15 Spaziergänge durch das unbekannte Wien, Pichler Verlag 2014