Unsere Website verwendet Cookies, um die grundlegende Funktionalität unserer Website zu gewährleisten (K5 - Session-Cookie aus der CMS-Anwendung, cookie - zur Speicherung Ihre Einstellungen zur Verwendung von Cookies auf dieser Website).

Warum ich schreibe/ illustriere 2010

Heinz Janisch über seine Arbeit an "Jumbojet"

TURBOSCHNECKE UND LUFTWAL!
Zum Bilderbuch "Jumbojet"

Kinder sitzen auf einer Bank und warten auf ihre Eltern.
Warten soll langweilig sein? Nicht, wenn Kinder ihre Fantasie spielen lassen. Und Kinder haben eine unglaubliche, wunderbare Fantasie!
Die beiden Kinder im Buch "Jumbojet" – es sind 2 Burschen – werfen einander Bilder zu wie Äpfel oder Orangen, wie Bonbons.
"Jumbojet", sagt der eine. "Megazug", ruft der andere.
"Indianer", sagt der eine. "Piraten", kontert der andere.
"Eine Turboschnecke", flüstert der eine. "Ein Luftwal", staunt der andere.
So geht das Spiel der Vorstellungskraft hin und her und mit jedem neuen Bild verändert sich die Bank, auf der sie sitzen, ihre Umgebung wird Teil der erfundenen Geschichte. Da gibt es viel zu schauen und zu entdecken, jedes Bild ist eine Reise für sich.
Ich liebe Bilderbücher, die viel Raum für eigene Bilder und Ideen lassen.
"Jumbojet" ist so ein Buch. Bei Lesungen und Workshops setzen Kinder diese Bilderreise fort – was würden sie alles sehen, beim Warten auf der Bank? Faszinierende, magische Wesen und Figuren tauchen dann auf in den Erzählungen der Kinder, und die Reise geht lange weiter...
Bis die Eltern ins Bild kommen. Sie sind unter Zeitdruck, im Buch wird das wörtlich genommen, sie tragen schwere Uhren auf der Schulter, der Stress ist ein Rucksack... Da ist dann auch plötzlich die Farbe im Buch weg, alles wird grau.
"Morgen? Gleiche Zeit?", fragen die Kinder, und die Farbe ist zurück...
Das Spiel mit der eigenen Fantasie wird weitergehen...

"Children’s Literary Festival Europe – Iran" hieß vor Jahren ein internationales Festival, das Kinderbuchkünstler aus ganz Europa nach Teheran brachte. In einem "Zentrum für Kinder" schrieb ich jeden Vormittag mit Kindern aus Teheran Geschichten zu mitgebrachten Plakaten und Kunstpostkarten aus aller Welt.
Im Raum neben mir arbeitete der dänische Künstler Søren Jessen, der in seiner Heimat als Autor und Illustrator bekannt ist. Er malte und zeichnete mit den Kindern.
Bei einem gemeinsamen Abendessen tauschten wir Bücher. Bilderbücher. Begeistert von der surrealen Kraft seiner Bilder versprach ich eine Geschichte für ihn zu schreiben, eine Geschichte mit wenig Text, die den Bildern viel Raum lässt.
So ist "Jumbojet" entstanden, ein Buch, das dann gleichzeitig in deutscher und in dänischer Sprache erschienen ist...
Warten soll langweilig sein? Dort, wo Kinder sind, beginnt das Abenteuer. Da kommt ein rotes Sportauto, dort ein alte Kutsche!
Die Reise kann beginnen! Bitte einsteigen!

Søren Jessen über seine Arbeit an "Jumbojet"

"Jumbojet" begann 2004 in Teheran. Da trafen Heinz Janisch und ich uns zum ersten Mal. Wir nahmen beide an einem Kinderbuchfestival teil. Ich sah einige seiner Bücher, er sah einige Bücher von mir, und wir beschlossen, einen Versuch zu unternehmen, ein Bilderbuch gemeinsam zu machen. Ich mochte das Manuskript, als ich es zum ersten Mal sah. Es ist eine sehr einfache Geschichte, aber mit großem Tiefgang, was für einen Illustrator perfekt ist. Ich war begeistert und begann sofort zu zeichnen. Ich wollte, dass diese Zeichnungen richtig groß werden, denn immerhin geht es ja um die Vorstellungswelt zweier Jungen. Das bedeutete, dass ich die Jungen im Hintergrund lassen musste, was mir ein wenig Sorgen machte, da sie ja die einzigen Identifikationspunkte in der Geschichte sind. Aber einige Zeit – und einige Zeichnungen – später wusste ich, dass es klappen könnte. Vor allem, als ich die Idee mit dem Hund hatte, den ich irgendwo in den Zeichnungen unterbringen konnte.
Das nächste größere Problem ergab sich, als gegen Ende der Geschichte die Eltern auftraten. Ich wollte unbedingt, dass diese Zeichnung sich vom Rest abheben und einen größtmöglichen Kontrast zu den anderen haben sollte. Deshalb wählte ich die Farben schwarz und weiß. Das ist ja oft der Fall, wenn man es mit der Wirklichkeit zu tun hat, nicht wahr? Ich meine: schwarz und weiß. Mit dieser Zeichnung habe ich, so glaube ich, wirklich etwas zu der Geschichte beigetragen, und ich mag es, wenn Zeichnungen so etwas zuwege bringen. Das macht ja ein Bilderbuch zu etwas ganz Besonderem. Weder kann der Text für sich allein bestehen, noch können es die Zeichnungen, aber zusammen können sie etwas Großes erreichen.

Peter Turrini über seine Arbeit an "Was macht man, wenn …"

Meine Mutter hat mir und meinen Brüdern vor dem Einschlafen Geschichten erzählt, später habe ich meiner Tochter Geschichten erzählt. Kindergeschichten waren immer in mir, aufgeschrieben habe ich sie nie. Fritz Panzer vom Ueberreuter-Verlag hat mich vor ungefähr einem Jahr ermutigt, es doch zu tun und seine Lektorin Irmgard Harrer hat mich bei meinem Erstlingswerk begleitet. Gespeist wurden die Geschichten von Erinnerungen an meine eigene Kindheit und von meinen – wohl lebenslänglichen – Versuchen, die Schwierigkeiten und Bedrängnisse mit Sprache zu bannen.

Eine besonders schöne Erfahrung war für mich die Zusammenarbeit mit Verena Ballhaus, der Bildergestalterin. Am Anfang schienen mir einige Zeichnungen nicht ganz logisch, aber als ich sie Kindern zeigte, hatten die ihre helle Freude daran. Mein Begriff von Logik hat sich in den letzten Jahrzehnten wohl etwas eingeengt, ich danke der Verena Ballhaus für die Erweiterung.

Kinderbücher sind Literatur für kleine Leute, aber sie sind keine "kleine" Literatur. Ganz im Gegenteil, es erfordert große literarische Anstrengung, Tonfall und Gemüt eines Kindes zu treffen. Am besten sucht man bei sich selbst, wenn man nicht mehr weiter weiß.

Verena Ballhaus über ihre Arbeit an "Was macht man, wenn …"

Es klingelte an der Tür: draußen stand der Text, der Verlag habe ihn geschickt.
Ich bat ihn herein. Er pfiff mir ein Lied, erzählte mir von diesem und jenem und gemeinsam tranken wir Tee.

War wirklich nett, dich kennen zu lernen, sagte ich. Auf bald einmal wieder?
Eigentlich, erwiderte der Text, wollte ich hierbleiben. Irgendwas fehlt mir ... Ein neues Gewand?
Eine andere Stimme? Oder Rollen?
Ich war überrascht: Wieso, was du dir nur einbildest... Prima schaust du aus. Schlank! Schön! Deine Stimme trägt gut, deine Melodie zeichnet ganz feine Bilder ... Reicht das nicht?

Der Text verschränkte die Arme: Und du? Traust dich nicht?

Also gut:
Ich richtete dem Text ein Zimmer ein.
Zeichnete einige Seile, knüpfte Lassos und Netze daraus und machte mich auf die Suche…
Unterwegs fand ich eine sonnengelbe Torte, traf auch ein paar Löwen und fing sie ein.

Daheim war inzwischen Besuch vom Zebra gekommen. Schnell freundete es sich mit dem Text an und blieb, wie auch die Löwen. Sie machten zusammen Limonade und sagten, es sei Tee, während ich weiter draußen herumzog.

Fußbälle lud ich in meinen Rucksack, las einige Geschichten von Walen auf und nähte Mäntel daraus. Die bestickte ich mit Tintenfischtinte. Ferner wob ich einen Teppich aus so vielen Fußspuren, bis er fliegen konnte, mietete den Rachen eines Krokodils mit einem Alu-Bubi (ein noch ziemlich frisches Stück Australien bekam ich gratis dazu) und erbeutete eine Segelfregatte mit mehreren Matrosen, einigen tintenschwarz eingefärbten Schiffbrüchigen sowie einer Tomate mit ausnehmend klangvoller Stimme.

Immer mehr trug ich heim, die Pracht im Zimmer des Textes wuchs und mehrte sich.
Auf weichsten Gräsern, duftenden Würsten, schimmernden Werkzeugen ruhte nun der Text, die neuen Mäntel saßen wie angegossen.
Allerdings sah man ihn kaum noch unter seinen herrlichen neuen Mond-, Papp-, Kork- und sonstigen Hüten. Auch wirkte er müde und döste immer öfter auf seinem üppigen Lager.
Schließlich verschlief er sogar, eingewickelt in sein neues Zelt aus safrangelber Fallschirmseide, den abendlichen Tee, welchen das Zebra uns zu kochen pflegte.

ES LANGT!, sagten die Löwen, als ich am nächsten Abend nach Hause kam. (Diesmal mit einer wunderbaren, gut erhaltenen Hofschauspieler-Maske im Gepäck).
DAS ZIMMER IST ZU VOLL!, sagte das Zebra.
Wir schauten uns an.

Der Text schwieg. Er war nicht mehr zu sehen unter all seinem Pomp und seit gestern nicht mehr aufgewacht. Zuoberst auf ihm saß der Alu-Bubi, er zählte die Federn der neuen Turnschuhflügel.

Ich nickte.

Wir öffneten die Fenster, AUIAAA schrie das Krokodil und flog als erstes hinaus. Der Alu-Bubi hatte sich blitzschnell in seinen Rachen geklemmt. Ihm folgte die Sphinx, sie hatte sich die Maske des Hofschauspielers geschnappt. Das Weltuntergangsschiff, schwer beladen mit Soldaten und sonstiger Waffenmaschinerie, den blauen Kulissen, dem Pappmaché-Wal, der Windmaschine und Riesenkoffern voller Matratzen, gefüllt mit Plunder, segelte als letztes davon.

Der Text erwachte.

Mit der restlichen Tintenfischtinte zeichneten wir uns Tassen mit frischem Tee, auch von der safrangelben Torte war noch genügend da.

Der Text lächelte.

Er beugte sich tief hinab in den Bauch der Torte und zog Stück für Stück heraus, was er darin versteckt hatte: all seine Lieblingsbuchstaben (wie die rotbackigen R), die gefräßige Wurstsemmel, das Schweizermesser, ein Löwenradl, das rasende Wiesenstück, ein Teil von der Krone des Apfelbaums, eine Stimmgabel, Kochgeschirr, eine gelbe Wolke mit Fallschirm, einige Goldmünzen und etwas Werkzeug.

Zusammen mit dem Zebra und den Löwen sangen wir ein vielstimmiges Lied, das wunderbar hallte in dem leeren Raum, packten das Fahrrad und radelten hinaus ins Freie.

Gabi Kreslehner über ihre Arbeit an "Charlottes Traum"

Die Grundidee zu meinem Buch entstand eigentlich auf eine etwas verquere Art. Ich bin ja im Brotberuf Hauptschul-Lehrerin und hatte vor 6 Jahren eine 4. Klasse in Deutsch. Wir schrieben innere Monologe und die Schularbeit stand an. Eines der 3 Auswahlthemen sollte ein Anfangssatz sein, der imstande war, seine Schreiber in seine Geschichte hineinzuziehen. "Ich wohne hier nicht mehr", befand ich, sei ein guter solcher Satz und freute mich schon darauf, seine Geschichten zu lesen. Aber denkste: Mein wunderschöner Anfangssatz wurde nicht ein einziges Mal als Thema gewählt! Also beschloss ich, ein bisschen enttäuscht, seine Geschichte selbst zu schreiben. Das dauerte lange, zog sich über 3 Jahre und 2 Stipendien. Ich legte den Text immer wieder in irgendwelchen Kästen ab, kehrte aber auch immer wieder zu ihm zurück. Irgendwann war er dann fertig und ich schickte ihn weg und kriegte Preise und war verblüfft und sprachlos und entzückt und alles das im Kreis.

Oft werde ich gefragt, ob der Inhalt des Buches auf eine wahre Begebenheit zurückzuführen sei. Da gibt es 2 Antworten. Erste Antwort: Nein, natürlich nicht – ich bin keine, die Leben einfach abschreibt; ich bin eine, die Geschichten erfindet, die im Leben möglich wären.
Zweite Antwort: Ja, natürlich – wenn eine Lebensform, wie etwa die Entstehung von Patchwork-Lebenssituationen, gang und gäbe geworden ist in einer Gesellschaft, dann muss man sich damit auseinandersetzen und nichts anderes habe ich getan und darum – ja, natürlich, finden sich vermutlich einige Charlotten in meiner Umgebung.

Die künstlerische Herausforderung an der Arbeit zu diesem Buch war für mich eine Sprache zu kreieren, die nah an den Jugendlichen ist, sie aber nicht kopiert. Sie sollte authentisch sein, frisch, ein bisschen frech und aufmüpfig. Das allein wäre mir aber zu wenig gewesen, darum die zahlreichen Brüche mit lyrisch anmutenden Passagen, mit ungewöhnlichen Bildern, die dem Umgangssprachlichen entgegenstehen.
Persönlich verbinde ich mit diesem Buch die großen Überraschungen und Veränderungen, die es für mich ausgelöst hat durch die riesige Wahrnehmung, die es erfuhr und erfährt und die für eine Erstveröffentlichung wohl nicht selbstverständlich sind.

Monika Pelz über ihre Arbeit an "Winchester Mystery"

Vor mehr als 10 Jahren fand ich in einer Zeitschrift eine Notiz über das Winchester Mystery House in San José, Kalifornien. Damals entstand die Idee, die Geschichte dieses Geisterhauses, das eng verbunden ist mit der düstersten Seite der US-amerikanischen Geschichte, literarisch zu bearbeiten. Seither sammelte ich Material und recherchierte, und 2006 reiste ich an Ort und Stelle, um das Haus, das heute als Museum geführt wird, zu besichtigen.

Ich bin Historikerin, und wie in vielen meiner Bücher stellte sich mir die literarische Herausforderung, Fakten und Fiktion zu verbinden. In diesem Fall: die Eroberung und Ausbeutung des amerikanischen Kontinents, einhergehend mit der Ausrottung, Ausbeutung und Diskriminierung der indigenen Bevölkerung – wobei das legendäre Winchester-Gewehr eine wichtige Rolle spielte – mit dem Leben und der Selbstbehauptung der weiblichen Protagonisten: der jungen Halb-Chinesin Jezebel Li und der reichen Sarah Winchester. Es ging um ein Zusammenspiel von Realität, Intuition und Erfindung, wobei die Realität das eigentlich phantastische Element der Erzählung ist, dem die Erfindung sich anzuschmiegen hatte.

Wie viele Leute meiner Generation bin ich mit amerikanischer Literatur aufgewachsen, das waren damals die großen sozialkritischen Epiker John Steinbeck, Upton Sinclair, John Dos Passos, Sinclair Lewis etc. Ich lernte, dass die großen Verbrechen dieses Landes begleitet wurden von großer, leidenschaftlich kritischer Literatur. Daher meine Beziehung zu dieser Kultur. Selbstverständlich habe ich vor der Arbeit an "Winchester Mystery" all diese Klassiker wieder gelesen. Und ich las sehr viel über Gespenster und Geister.